Sonntag, 20. Oktober 2013

Überraschung 2 - Orion von Metallica enthält ... einen Ländler!

Ab ca. Minute 5:40 kommt in diesem – übrigens rein instrumentalen: Hochachtung! – Stück dieser Ländler vor:



Die Harmonien sind am Anfang noch ein wenig gewöhnungsbedürftig, weil die parallele Moll-Tonart die Tonika ersetzt – ab der Mitte sind wir dann aber bei der uralten I-IV-V-I-Kadenz, und alles wird gut und Volksmusik.

Montag, 14. Oktober 2013

Überraschung 2 - Metallica und ... Volksmusik?

Orion von Metallica ist ziemlich heavy – man könnte auch sagen laut ... und harmonisch nicht unbedingt an klassischen Harmonien und Formen orientiert.
Ziemlich unerwartet kommt daher mitten drin ... was vor?

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Haupt- und Seitenthema im Kyrie KV192 - ein etwas genauerer Blick darauf

Micha hat sich die Arbeit gemacht und zum einen im Kyrie der Missa brevis KV 192 die Takte von Exposition und Reprise eins-gegen-eins miteinander verglichen; aber zum anderen genauer auf die Vorzeichen in der Exposition (und der Reprise) geschaut. Hier ist ihre Zusammenfassung:
Also, ich hab's mir noch mal angeguckt und folgende Dinge sind mir dabei klar und andere unklar:

Das Hauptthema (F-Dur) bis Takt 19 und das Hauptthema der Reprise (F-Dur) von Takt 46-53 ist total logisch.
Das Seitenthema beginnt für Dich im Takt 32 (C-Dur), das Seitenthema der Reprise in Takt 66 (F-Dur). Dass das gleiche Thema erst in C, dann (wie das Hauptthema) in F-Dur geschrieben ist, verstehe ich.
Die Durchführung findet in Takt 39-45 statt. Auch der unterschiedliche Text – ist wirklich superlogisch.
Das Gedudel von Takt 20-25 und von Takt 54-58 passt zwar auch super zueinander :-) aber das erste ist für Dich weiterhin das Thema in F-Dur (das zu C-Dur tendiert), obwohl sämtliche B's zu H werden und auch ein Fis und Es auftauchen, andererseits ist das zweite für Dich B-Dur, obwohl nur in Takt 55 mal 2 Es vorkommen (ich habe halt nur unsere Fassung, nicht die Partitur). Das finde ich nicht logisch.
Takt 27-31 und Takt 61-65 sehen für mich aus wie C-Dur mit 'nem b bzw. F-Dur mit 'nem Es.
Mir fällt es einfach schwer, die Zugehörigkeit von Takt 20-31 und Takt 54-66 zum Hauptthema zu erkennen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, mir fällt es nach genauerem Hinschauen auch schwer, die Zugehörigkeit von Takt 20-31 und Takt 54-66 zum Hauptthema zu erkennen. Mein erster Text war eigentlich nur eine Erklärung dieses Prinzips der Durchführung, die da so auffällt als "ganz anderer Mittelteil" – und natürlich überhaupt der Erklärung, dass dieses Kyrie eine Sonate(nhauptsatzform) ist. Die Hauptthema-Seitenthema-Zuordnung habe ich eher lässig genommen – zu lässig, wie Michas Kritik zeigt.

Also versuche ich nun noch einmal genauer hinzuschauen. Hier ist das Ergebnis einer halben Stunde "Sezier-Arbeit":


  • Untereinander stehen die drei offensichtlichen "Motive" in Exposition (also dem Teil zwischen Vorspiel und Durchführung) und Reprise (dem Teil nach der Durchführung).
  • T.#-# bezeichnet jeweils die Taktnummern – links in der Exposition, rechts in der Reprise –, dahinter steht in eckigen Klammern die Taktanzahl, damit man sie nicht jedesmal ausrechnen muss und dahinter die Tonart des Abschnittes.
  • Teilmotiv-Wiederholungen innerhalb eines Motivs sind weggelassen.
  • Meistens steht nur eine Stimme da – beim zweiten Motiv habe ich aber ein Achtel der Geigen (die nicht ausgefüllte Note) und den Anfang des "Comes" dazugeschrieben, weil die entstehende Sekund "akustisch" (das reibt sich!) offenbar wichtig ist. Die Kreuznoten am Schluss meinen, dass hier nur mehr der Rhythmus notiert ist, nicht die Tonhöhe.
  • Unter den ersten beiden Motiven stehen auch die Stufenbezeichnungen der Harmonien.
Und nun kann ich sagen: Die Achtelpause und die ganze Viertel am Anfang der beiden oberen Motive haben mich falscherweise dazu verführt, das zweite Motiv als eine Variante des ersten zu "überlesen" und daher das dritte Motiv als Seitenthema zu bezeichnen.

Nach dem genaueren Hinschauen kann man das so nicht stehenlassen: Sowohl die Klangwirkung der zwei oberen Motive wie auch der harmonische Ablauf sind vollkommen verschieden:
  • Klang: Konsonantisch beim ersten Motiv, Dissonanz (die Sekunden auf schweren Taktteilen!) beim zweiten.
  • Harmonie: Kadenz (mit Ersatz IV?II) beim ersten Motiv, eigenständig erfundene Harmoniefolge beim zweiten Motiv.

Wenn man nun den Blick auf die Reprise wirft, dann kann man meinen früheren Quintsprung "mitten im Hauptthema" nun plötzlich ganz anders sehen: Nämlich als Quintsprung zwischen den Themen, wie sich das ja in der Sonatenhauptsatzform eigentlich gehört (und häufig auch einfach so direkt, ohne verdeckende Modulation oder ähnliches gemacht wurde). Klar gesagt:
  • Das achttaktige Hauptthema ist aus dem Motiv 1 konstruiert,
  • das sechstaktige Seitenthema aus dem Motiv 2.
Nach dieser Aufteilung ist der Aufbau noch "lehrbuchmäßiger", noch "verständlicher" geworden. Und dass die zwei Themen miteinander halbwegs eng verwandt sind, ist ja kein "Fehler": Im Gegenteil, eine wie auch immer definierte Verwandt- oder Bekanntschaft soll so sein in einer Sonatenhauptsatzform. Hier haben wir außerdem noch auf beiden Themen denselben Text (das immer wieder wiederholte "Kyrie eleison"), sodass ein echtes "Kontrastthema" eigentlich gar nicht passen würde!

Zwei "Probleme" bleiben:

(a) Das Seitenthema beginnt (in der Exposition) nicht in der Dominant-Tonart (C-Dur), sondern noch in der Haupttonart (F-Dur). Mit zwei kleinen Anmerkungen glaube ich das trotzdem "durchgehen" lassen zu können: Zum ersten ruft die Sekund f-g am Beginn schon fast den Septakkord von C ins Gedächtnis – die Melodie tendiert hier schon Richtung C. Zum anderen geht sie dann nach zwei Takten so strahlend nach C-Dur (und bleibt dort), dass sie einfach, "von hinten her betrachtet", ein C-Dur-Thema ist!

(b) Außerdem hat man nun plötzlich "einen Haufen Musik nach dem Seitenthema": Was macht man damit? Ich denke, das lässt sich im wesentlichen als "Motiv-Verarbeitung" zusammenfassen: Nach den 8+6=14 Takten "Themenvorstellung" folgen 3+3+4+3=13 Takte, die zuerst das Hauptmotiv noch einmal für 3 Takte aufgreifen und dann "in einfachen Kadenzen ausklingen lassen". Vielleicht kann man hier noch weitere Motivverwandtschaften feststellen (die Achtel-/Pausenfolgen scheinen mir auch mehrfach aufgegriffen), aber diese Arbeit erspare ich mir – vor allem auch, weil mein Wissen nicht ausreicht, um tiefschürfendere vernünftige Aussagen zu treffen.

Ich belasse es einmal bei dieser (noch immer) Hobbyanalyse des Kyrie aus dieser "Missa brevis" und bedanke mich bei allen, die mir Rückmeldungen gegeben haben – besonders aber schon bei Micha, die mich zu dieser zweiten Analyse herausgefordert hat!

Dienstag, 8. Oktober 2013

Wieso ist der Mittelteil unseres Kyrie schwerer als der Rest? Oder: Wie komponiert man (Mozart) ein Kyrie?

Wir singen ja diese Messe KV192; und wie wir am Samstag festgestellt haben, ist der Mittelteil des Kyrie zwar ziemlich kurz, aber doch um einiges schwerer und auch irgendwie ganz "anders" als der Rest davon. Wieso ist das so? Was hat sich ein Komponist wie Mozart an dieser Stelle gedacht – und wieso macht er's uns nicht einfach leichter? Wenn das jemand interessiert, kann er sich meine folgende Antwort darauf zu Gemüte führen – und dabei vielleicht ein bissl Einblick ins Komponieren bekommen.

Ich riskiere hier meine eigene Antwort, ohne in irgendeinem Buch oder sonstwo nachgeschaut zu haben, was andere, Berufenere dazu so meinen – trotzdem denke ich, dass was dran ist an meiner einerseits einfachen, andererseits gar nicht so einfachen Überlegung.

Meine Antwort ist nämlich einfach: Sonatenhauptsatzform!

Aha. Jetzt seid ihr so schlau wie vorher, oder, liebe Leserinnen und Leser? Also muss ich wenig weiter ausholen. Wo fange ich an? Vielleicht so: Ein Musikstück kann man sich unter vielen Blickwinkeln anschauen. Einige wichtige davon sind:
  • Die Melodien (klar).
  • Die Harmonien – wie klingt es zusammen?
  • Die Melodieführung (der "Kontrapunkt")
  • ... die Instrumentierung ...
  • ... ... der Textbezug ...
Alles das ist interessant, aber es gibt einen Punkt, der uns hier besonders interessiert, und das ist:
  • Die Form.
Was ist denn nun das wieder? Die Form: Das ist, wie einzelne unterscheidbare Teile eines Musikstücks aufeinanderfolgen. Hier sind ein paar Formen:
  • Eine ganz einfache Form: Strophenlied (formal schreibt man manchmal: A A A A ... – A ist die Strophe, und die wird immer wieder wiederholt, bis der Text eben aus ist).
  • Strophenlied mit Refrain: A B A B A B (A ist die Strophe, B der Refrain).
  • Ein Marsch mit Trio könnte sein: A A B B A A C (das Marschthema A wird in der Regel wiederholt, dann kommt das Trio B – auch wiederholt –, dann wieder der Marsch, zum Schluss eine Coda C).
  • ... und noch viele andere.
Uns interessiert hier aber eine Form, von der man gemeinhin sagt, dass Joseph Haydn sie erfunden hat: die oben genannte "Sonatenform" oder ausführlicher "Sonatenhauptsatzform". Die Sonatenhauptsatzform ist eine "Blaupause" für mittellange Musikstücke – am Anfang waren das eben
  • Klaviersonaten (daher der Name; Haydn hat 100 oder so geschrieben), aber bald darauf auch 
  • Streichquartette (übrigens eine Instrumentalform, die auch Haydn praktisch erfunden hat), dann 
  • Solokonzerte (für Klavier und Orchester, Geige und Orchester, Trompete und Orchester, Klarinette und Orchester usw.usf.) und 
  • dann für ganze Symphoniesätze, die sich über 15 Minuten und mehr ziehen können.
Die Sonatenhauptsatzform war eine überaus erfolgreiche Blaupause – sie war fast 150 Jahre (von etwa 1750 bis fast 1900) "modern", und an ihr haben sich Hunderte Komponisten orientiert und abgearbeitet.
Was ist nun aber diese Sonatenhauptsatzform? "Ganz einfach":

Erstens: Man entscheidet sich für eine Tonart.
Zweitens: Dann erfindet man zwei Themen (Melodien) – man nennt sie Hauptthema und Seitenthema (über ihr "Verhältnis" kann man lang philosophieren und viel studieren – tun wir hier nicht).
Drittens: Damit baut man nun folgendes zusammen:
  • Hauptthema (in der Haupttonart)
  • Seitenthema (eine Quinte höher – in der "Dominante")
  • Wenn man will, wiederholt man die beiden Themen.
  • Nun folgt ein Zwischenspiel – die sogenannte Durchführung, in der man eines der Themen kunstvoll verändert, variiert, in -zig Tonarten umbiegt, total den Faden verliert, bis man ...
  • ... plötzlich wieder beim Hauptthema ist!
  • Nun hängt man noch eimal das Seitenthema an – aber nun auch in der Haupttonart, damit die Sonate auch schön mit dieser Tonart endet.
  • Und fertig.
Wieso ausgerechnet diese Form so ein Hit wurde? Das hat natürlich viele verschiedene Gründe, und manches lässt sich auch nicht erklären – aber eine Kleinigkeit zeigt vielleicht, wie "große und kleine Musik" verbunden sind. Vergessen wir einmal diese Trennung von Haupt- und Seitenthema und fassen beide einfach unter "Thema" zusammen. Dann hat die Sonatenhauptsatzform mit Wiederholung folgenden Ablauf:
  • Thema – Thema – Durchführung – Thema
Das schreibt man auch kürzer als AABA. Und nun singen wir "Hänschen klein". Merkt ihr was?
  • "Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein" = A
  • "Stock und Hut steht ihm gut, ist gar wohlgemut" = fast A (bis auf den Schluss)
  • "Aber Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr" = ganz was anderes: B.
  • "Wünsch dir Glück, sagt ihr Blick, kehr nur bald zurück" = wieder fast A.
– auch AABA! Diese sogenannte "Liedform" ist offenbar etwas, was "jeder kennt" und was es schon sehr lange gibt – und die Sonatenhauptsatzform ist "nur" (aber natürlich viel mehr als "nur") die enorme künstlerische Vergrößerung dieser kleinen Form: Die nun den Komponisten einerseits eine Vorlage, aber andererseits auch unendliche Freiheit gab! Denn man konnte einerseits an kunstvollen Themen, andererseits an einer noch kunstvolleren Durchführung, aber überhaupt und außerdem an allen Stellen davor und dahinter seinem genialen Können freien Lauf lassen – sei es in der phantasievollen Variation von Motiven oder der Verknüpfung der Themen miteinander –, aber auch sein Beherrschen der Regeln von Harmonie und Instrumentierung einsetzen.

Aber ... das ist ja alles eine Erfindung aus der und für die Instrumentalmusik! Was soll das alles mit dem Kyrie einer Mozartmesse zu tun haben? Schauen wir's uns an.
Ich verwende im Folgenden Ausschnitte aus drei verschiedenen Aufführungen, die ich bei youtube gefunden habe. Manche sind schneller, manche langsamer ... Klicken auf die kleinen Bildchen sollte den jeweiligen Ausschnitt starten.

Unser Kyrie beginnt mit einem Orchestervorspiel, das wir elegant ignorieren (ein Vorspiel, eine Einleitung oder "Intro" ist in aller Regel nicht Teil der Form, sondern eben nur eine Vorbereitung).

Dann geht's los: In der Haupttonart F-Dur und in forte kriegen wir vom ganzen Chor ein erstes Thema serviert (ah, dieses Thema wird gleich kompliziert präsentiert, über mehrere Stimmen verteilt und verschoben: Natürlich ist dieses Kyrie nicht nur eine Sonatenhauptsatzform – aber vergessen wir einmal alles über Kontrapunkt und Harmonien und bleiben wir bei der "nackten Form"):



Schon hier pendelt Mozart manchmal zur Quint-Tonart (Dominante) C-Dur, aber im Großen und Ganzen bleibt er doch in F, bis dann ab Takt 22 oder so die C-Dur gewinnt.
Update: Das mit dem Hauptthema und der ganzen Themenaufteilung stimmt so nicht. Micha hat mich herausgefordert – das Ergebnis ist diese verbesserte Untersuchung! Ich lasse den Text hier trotzdem so stehen, weil ich finde, dass ein solcher "Erkenntnisweg" von falsch zu richtig(er) auch nicht uninteressant ist.
 Das folgende Sopransolo (Takt 26 bis 31) tut zwar so, als sei es eine eigene Melodie, aber eigentlich spielt darüber das Orchester noch immer unser erstes Thema, und dann gibt es noch eine verlängerte Schlusswendung des Solos:



Nun ja ... es wird langsam langweilig.

Aber dann: Der Chor setzt wieder ein, in der Dominant-Tonart C-Dur, etwas "schräg und aus der Hüfte" mit einem G7-Septakkord, an dem ein kleines, aber eben doch ziemlich anderes zweites Thema (nein: siehe Update und Erklärung ein Stück weiter oben) mit 4 Takten hängt:



Wir haben hinter uns: Hauptthema und Seitenthema (was man zusammen auch "Exposition" nennt; aber das nur nebenbei). Wiederholen mag Mozart, im Gegensatz zum Komponisten des "Hänschen klein", diesen ersten Teil nicht – den Grund überlegen wir uns später.

Was kommt als nächstes? Das, was einem als Klavierspieler Angst macht beim Sonaten-Üben – die Durchführung. Es ist nun einmal so, dass es hier "zur Sache geht": Die Durchführung muss, das geht nicht anders, der erste Höhepunkt, und zwar der Höhepunkt der Kompliziertheit sein. Also legt er los, unser Herr Mozart. Nun gibt es verschiedene Grade der Kompliziertheit, und bei dieser kleineren Messe beschränkt er sich auf ein schon lange bekanntes Verfahren: Modulieren, also durch die Tonarten marschieren. Normale Septakkorde erlauben Quintschritte (C-Dur nach F-Dur gleich am Anfang der Durchführung im Takt 40), mit verminderten Septakkorden kommt man in parallele Moll-Tonarten (F-Dur nach d-moll im Takt 41), daraus kommt man mit einem verminderten Septakkord zu einer Dur, aber eigentlich schon im gleichen Taktschlag im "Terzfall" wieder in eine parallele Moll – und so weiter. Mindestens zwei Tonarten pro Takt bringt er hier an, an manchen Stellen auch drei (Takt 42). Es wird einem leicht schwindlig:



Aber es dauert auch nicht lang: Denn schon (Takt 46) beginnt wieder unser erstes oder Hauptthema! – und zwar ganz brav in der Haupttonart F-Dur, so als wären wir nie woanders hin abgeschweift:



Und eigentlich könnte der Komponist nun mit diesem Hauptthema und dann mit dem Seitenthema ohne Schwierigkeiten in den Schluss-Hafen segeln, wenn's da nicht noch eine letzte Herausforderung gäbe bei der Sonatenhauptsatzform: Wenn wir Hauptthema und Seitenthema wie am Anfang anbringen, dann würden wir nicht in der Haupttonart enden, sondern auf der Quinte (Dominante) – weil ja nach dem Seitenthema Schluss ist! Das "geht aber nicht" – man will, in aller klassischen Musik, schon in der Haupttonart aufhören. Der Komponist muss also Haupt- und Seitenthema irgendwie etwas anders verbinden als im ersten Teil. Für diese "Verbindungsänderung" gibt es viele Möglichkeiten, manche mit ganz elegant versteckten "Modulationen", manche direkter und kürzer über Septakkorde. Mozart wählt hier – "Gebrauchsmusik"?! – die brachialste, die es gibt: Er springt einfach mittendrin, bei einer Pause im Hauptthema (nein: zwischen Haupt- und Seitenthema – siehe Update!), eine Quinte nach unten! Das passiert im Takt 54, wo wir plötzlich von F-Dur nach B-Dur marschieren:



Es knirscht schon einen Moment in den Ohren ("was ist da grad passiert?"), aber was soll's – wir sind dort, wo wir hin wollen: Denn wenn nun etwas später das Seitenthema eine Quint höher losgeht, steht es (eine Quint nach unten im Takt 54, jetzt eine Quint nach oben!) ... in der Haupttonart! Und mit einem zweiten Schluss-Höhepunkt ist das Stück fertig, im Takt 70.

Nicht ganz: Um den "Drive" etwas rauszunehmen, hängt Mozart noch eine kurze Coda an, die einfach aus vier Kadenzen besteht. Diese Coda liefert eigentlich einen kleinen letzten Höhepunkt nach, indem der Sopran zum Schluss noch eine Oktav nach oben geht – weil das Kyrie das erste Stück der Messe ist, muss man da schon auch am Ende ein wenig zeigen, was man draufhat, oder?

Aber jetzt ist wirklich Schluss mit der "Kyrie-Sonate"!

Nur – wie kommt Mozart drauf, ein Kyrie als Sonate zu komponieren? Wissen tu ich's nicht, aber: Das Kyrie hat ja als Text die Folge "Kyrie eleison – Christe eleison – Kyrie eleison", also die dreiteilige Form ABA. Wenn man aber bei der Liedform AABA die erste Wiederholung weglässt, kriegt man ABA – und das passt genau zusammen! Man kann nun einerseits eine kleine Liedform verwenden, um ein Kyrie zu komponieren (wie bei manchen Kyries in der Liturgie oder in unserem Liederbuch), man kann aber eben auch die damals moderne "große Liedform", also die ganze Sonatenhauptsatzform unter das Kyrie legen – so wie's Mozart getan hat. Und wegen des Textablaufs ist auch klar, dass die Exposition eben nicht wiederholt wird.

Jetzt wissen wir es also, warum die Mitte so anders ist: Weil dort in der Sonatenhauptsatzform eben diese "künstlerische" Durchführung liegt, wo's kompliziert werden muss. Daher quält Mozart uns dort – nicht sehr lang, aber dafür intensiv!