Donnerstag, 10. Oktober 2013

Haupt- und Seitenthema im Kyrie KV192 - ein etwas genauerer Blick darauf

Micha hat sich die Arbeit gemacht und zum einen im Kyrie der Missa brevis KV 192 die Takte von Exposition und Reprise eins-gegen-eins miteinander verglichen; aber zum anderen genauer auf die Vorzeichen in der Exposition (und der Reprise) geschaut. Hier ist ihre Zusammenfassung:
Also, ich hab's mir noch mal angeguckt und folgende Dinge sind mir dabei klar und andere unklar:

Das Hauptthema (F-Dur) bis Takt 19 und das Hauptthema der Reprise (F-Dur) von Takt 46-53 ist total logisch.
Das Seitenthema beginnt für Dich im Takt 32 (C-Dur), das Seitenthema der Reprise in Takt 66 (F-Dur). Dass das gleiche Thema erst in C, dann (wie das Hauptthema) in F-Dur geschrieben ist, verstehe ich.
Die Durchführung findet in Takt 39-45 statt. Auch der unterschiedliche Text – ist wirklich superlogisch.
Das Gedudel von Takt 20-25 und von Takt 54-58 passt zwar auch super zueinander :-) aber das erste ist für Dich weiterhin das Thema in F-Dur (das zu C-Dur tendiert), obwohl sämtliche B's zu H werden und auch ein Fis und Es auftauchen, andererseits ist das zweite für Dich B-Dur, obwohl nur in Takt 55 mal 2 Es vorkommen (ich habe halt nur unsere Fassung, nicht die Partitur). Das finde ich nicht logisch.
Takt 27-31 und Takt 61-65 sehen für mich aus wie C-Dur mit 'nem b bzw. F-Dur mit 'nem Es.
Mir fällt es einfach schwer, die Zugehörigkeit von Takt 20-31 und Takt 54-66 zum Hauptthema zu erkennen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, mir fällt es nach genauerem Hinschauen auch schwer, die Zugehörigkeit von Takt 20-31 und Takt 54-66 zum Hauptthema zu erkennen. Mein erster Text war eigentlich nur eine Erklärung dieses Prinzips der Durchführung, die da so auffällt als "ganz anderer Mittelteil" – und natürlich überhaupt der Erklärung, dass dieses Kyrie eine Sonate(nhauptsatzform) ist. Die Hauptthema-Seitenthema-Zuordnung habe ich eher lässig genommen – zu lässig, wie Michas Kritik zeigt.

Also versuche ich nun noch einmal genauer hinzuschauen. Hier ist das Ergebnis einer halben Stunde "Sezier-Arbeit":


  • Untereinander stehen die drei offensichtlichen "Motive" in Exposition (also dem Teil zwischen Vorspiel und Durchführung) und Reprise (dem Teil nach der Durchführung).
  • T.#-# bezeichnet jeweils die Taktnummern – links in der Exposition, rechts in der Reprise –, dahinter steht in eckigen Klammern die Taktanzahl, damit man sie nicht jedesmal ausrechnen muss und dahinter die Tonart des Abschnittes.
  • Teilmotiv-Wiederholungen innerhalb eines Motivs sind weggelassen.
  • Meistens steht nur eine Stimme da – beim zweiten Motiv habe ich aber ein Achtel der Geigen (die nicht ausgefüllte Note) und den Anfang des "Comes" dazugeschrieben, weil die entstehende Sekund "akustisch" (das reibt sich!) offenbar wichtig ist. Die Kreuznoten am Schluss meinen, dass hier nur mehr der Rhythmus notiert ist, nicht die Tonhöhe.
  • Unter den ersten beiden Motiven stehen auch die Stufenbezeichnungen der Harmonien.
Und nun kann ich sagen: Die Achtelpause und die ganze Viertel am Anfang der beiden oberen Motive haben mich falscherweise dazu verführt, das zweite Motiv als eine Variante des ersten zu "überlesen" und daher das dritte Motiv als Seitenthema zu bezeichnen.

Nach dem genaueren Hinschauen kann man das so nicht stehenlassen: Sowohl die Klangwirkung der zwei oberen Motive wie auch der harmonische Ablauf sind vollkommen verschieden:
  • Klang: Konsonantisch beim ersten Motiv, Dissonanz (die Sekunden auf schweren Taktteilen!) beim zweiten.
  • Harmonie: Kadenz (mit Ersatz IV?II) beim ersten Motiv, eigenständig erfundene Harmoniefolge beim zweiten Motiv.

Wenn man nun den Blick auf die Reprise wirft, dann kann man meinen früheren Quintsprung "mitten im Hauptthema" nun plötzlich ganz anders sehen: Nämlich als Quintsprung zwischen den Themen, wie sich das ja in der Sonatenhauptsatzform eigentlich gehört (und häufig auch einfach so direkt, ohne verdeckende Modulation oder ähnliches gemacht wurde). Klar gesagt:
  • Das achttaktige Hauptthema ist aus dem Motiv 1 konstruiert,
  • das sechstaktige Seitenthema aus dem Motiv 2.
Nach dieser Aufteilung ist der Aufbau noch "lehrbuchmäßiger", noch "verständlicher" geworden. Und dass die zwei Themen miteinander halbwegs eng verwandt sind, ist ja kein "Fehler": Im Gegenteil, eine wie auch immer definierte Verwandt- oder Bekanntschaft soll so sein in einer Sonatenhauptsatzform. Hier haben wir außerdem noch auf beiden Themen denselben Text (das immer wieder wiederholte "Kyrie eleison"), sodass ein echtes "Kontrastthema" eigentlich gar nicht passen würde!

Zwei "Probleme" bleiben:

(a) Das Seitenthema beginnt (in der Exposition) nicht in der Dominant-Tonart (C-Dur), sondern noch in der Haupttonart (F-Dur). Mit zwei kleinen Anmerkungen glaube ich das trotzdem "durchgehen" lassen zu können: Zum ersten ruft die Sekund f-g am Beginn schon fast den Septakkord von C ins Gedächtnis – die Melodie tendiert hier schon Richtung C. Zum anderen geht sie dann nach zwei Takten so strahlend nach C-Dur (und bleibt dort), dass sie einfach, "von hinten her betrachtet", ein C-Dur-Thema ist!

(b) Außerdem hat man nun plötzlich "einen Haufen Musik nach dem Seitenthema": Was macht man damit? Ich denke, das lässt sich im wesentlichen als "Motiv-Verarbeitung" zusammenfassen: Nach den 8+6=14 Takten "Themenvorstellung" folgen 3+3+4+3=13 Takte, die zuerst das Hauptmotiv noch einmal für 3 Takte aufgreifen und dann "in einfachen Kadenzen ausklingen lassen". Vielleicht kann man hier noch weitere Motivverwandtschaften feststellen (die Achtel-/Pausenfolgen scheinen mir auch mehrfach aufgegriffen), aber diese Arbeit erspare ich mir – vor allem auch, weil mein Wissen nicht ausreicht, um tiefschürfendere vernünftige Aussagen zu treffen.

Ich belasse es einmal bei dieser (noch immer) Hobbyanalyse des Kyrie aus dieser "Missa brevis" und bedanke mich bei allen, die mir Rückmeldungen gegeben haben – besonders aber schon bei Micha, die mich zu dieser zweiten Analyse herausgefordert hat!

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