Samstag, 9. März 2013

Komponieren lernen? - womit könnte man anfangen?

Wenn man komponieren will, dann schadet es sicher nicht, sich an "kleineren Fingerübungen" zu versuchen. In der klassischen Kompositionsausbildung waren das wohl millionenfache Menuette, die da mit oder ohne Trios zusammengebaut wurden. Heutzutage wollen viel mehr Leute komponieren, was man "U-Musik" nennt – aber wenn es dann weiter "größere" (vom Umfang her oder vom Anspruch her) Kompositionen gehen soll, dann wünscht man sich auch einen größeren Vorrat vor allem an Harmonien, Formen oder Instrumenten. Bei ersten Stücken allerdings sind möglichst viele vorgegebene Entscheidungen hilfreich, um nicht von der "Freiheit erschlagen zu werden". Trotzdem soll natürlich etwas herauskommen können, was man sich anhören kann.

Ich mache einmal Vorschlag, der vielleicht jemandem hilft, sich schmerzloser der Komponiererei zu nähern: Ragtimes. Der bekannteste Ragtime ist sicherlich Scott Joplins "Entertainer", der als Titelmelodie des Films "Der Clou" wieder bekannt gemacht wurde (der Soundtrack mit Melodien von Scott Joplin erhielt übrigens einen Oscar). Die Cantina-Musik von John Williams aus dem ersten Star-Wars-Film ist – mit ihrer synkopierten ersten Melodie – auch ein Ragtime, der allerdings aus den Standardharmonien der alten Ragtimes weit ausbricht. Und obwohl Ragtimes eigentlich schon seit 100 Jahren außer Mode sind, scheint diese Art von Musik doch so attraktiv zu sein, dass nahezu in jeder zweiten Folge der "Clone Wars" auch irgendeine Band vorkommt, die Synkopen-Musik spielt ...

Bevor man sich selber an einen Ragtime macht, sollte man sich schon einige solche Stücke anhören. Warren Trachtman bietet auf seiner Website die MIDIs von hundert oder mehr Ragtimes an, und auf youtube kann man sie sich sicher auch in Massen anhören. Ich habe allerdings bemerkt, dass sich nach dem Hören von mehr als 10 oder 15 Ragtimes mein Kopf "verklebt" – man sollte also mit dem Anhören aufhören, bevor man so weit ist.

Hier ist ein "Kochrezept", um einen Ragtime zusammenzuschrauben – gedacht für das typische Ragtime-Instrument, also das Klavier:
  1. Man nehme eine Melodieidee und versehe sie mit genügend Synkopen.
  2. Als Begleitung nimmt man einen einfachen Stride auf Tonika und Dominante; in der Schlussfigur macht sich eine Doppeldominante (Septakkord auf der zweiten Stufe) ganz gut.
  3. Als Form beginnt man mit der einfachsten "Liedform": a – a' mit Schluss, also Melodie plus noch einmal veränderte Melodie.
  4. Wenn die erste Version steht, kümmert man sich um zwei zusätzliche Stimmführungen: die "Bassmelodie", also die Folge der Basstöne der Begleitung; und kleine Gegenmelodiestücke, die man zumindest in den Pausen der Hauptmelodie unterbringt.
  5. Die Form lässt sich dann erweitern zu einer dreiteiligen Liedform (A-B-A) mit einer markant anderen zweiten Melodie; oder sogar zu beliebig langen "Ragtime-Rondos" A-B-A-C-A-D-... – allerdings sollte man übungshalber wohl lieber kurze Stücke schreiben, dafür lieber mehr.
  6. Fertig.
Fertig? Und wie geht das jetzt genau? Ich fürchte, hier muss (müsste) der persönliche Unterricht einsetzen: Denn ja nachdem, wo man nicht mehr weiterkommt, braucht man dort Anleitung, Hilfe, aber vor allem auch Übung. Der Knackpunkt der Sache ist und bleibt jedenfalls die Harmonisierung, also der zweite Schritt: Sie muss korrekt sein – und das muss man können und hören können. Wie man das lernt, wenn man's noch nicht kann, weiß ich eigentlich nicht – bei meinen Kindern merke ich, dass unendlich langes Blues- und Boogie-Klimpern zu einer Verfestigung der üblichen Harmonien führt, mit zaghaften "Ausbruchsversuchen": Das ist, für Klavier- und Keyboardspieler, sicher eine wichtige Sache. Wie's andere lernen, insbesondere die Spieler von einstimmigen Instrumenten (dazu gehört auch die Singstimme), weiß ich leider nicht – vielleicht erklärt mir das einmal ein solcher ...

Andererseits kann man, wenn man das will, die einfache Harmoniefolge wie im Jazz dazu benutzen, um Substitutionen noch und nöcher auszuprobieren – immerhin ist der Ragtime ja eine der wichtigen Grundlagen des Jazz, und neben dem notierten Ragtime ist immer schon der improvisierte dagewesen, der einen Klavierspieler je nach Wagemut mehr oder weniger weit weg von I-IV-V(-II)-Harmonien führt. Eine Tritonus-Substitution geht dabei allerdings, wenn man dem Stil eines "alten Ragtime" treu bleiben will, vermutlich zu weit – aber alle "normaleren" Substitutionen kann man jedenfalls versuchen (und zum Beispiel im Entertainer den F-Akkord im dritten Takt durch einen Dm7 ersetzen?!).

Damit dieses Posting nicht vollkommen ohne Noten bleibt, bastle ich hier "zum Zuschauen" noch einen Ragtime zusammen.

Die Idee zur Melodie (einmal rauf und runter) hab ich mir eine halbe Minute vor der S-Bahn-Abfahrt "überlegt", den Rest baue ich nach meinem inneren Gehör zusammen. Wer das (noch) nicht kann, probiert am Klavier (oder auf seinem Instrument – bei einstimmigen wird's aber, wie gesagt, wohl schwierig). Melodie: Nehmen wir einfach eine Tonleiter rauf und runter:
Damit es ein Ragtime wird, versehen wir sie mit einem Ragtime-typischen Rhythmus – verschiedener Rhythmus für die beiden Takte ist besser als gleicher! Hinten kleben wir eine Note an, damit der zweite Takt voll wird:
Dann bauen wir einen Standard-Stride drunter:
Wie geht es weiter? Entweder man erfindet die Melodie weiter – im trivialsten Fall als Sequenz, von der man "irgendwie abzweigt":
Aber man kann auch den Bass fortführen: Und wenn schon so, kann man gleich vom langweiligen Stride etwas abweichen und eine "Bassmelodie" erfinden. Im letzten Takt steht übrigens als Hinleitung zum Septakkord diese Doppeldominante "DD7":
Wenn man den Bass als "Input" nimmt, muss sich nun aber dazu eine Melodie ergänzen – "wohin auch immer die Finger laufen" (im Kopf oder auf der Tastatur):
Das kann man jetzt so lassen – erster Teil "fertig". Oder man packt ein wenig Schul-Stimmführungsregeln aus und baut – nur der Übung halber – ein paar gröbere Schnitzer aus:
  • Bei [1] haben wir eine schöne eingesprungene Oktave (beide Stimmen gehen von unten zu einem f); mögliche Korrektur: Obere Stimme springt statt auf's f bis auf's a, dann "irgendwie zurück". Andere Möglichkeit: a statt c als erste Note im Takt. Das hat neben der Gegenbewegung von Begleitung und Melodie auch den netten Effekt, nach der simplen Tonleiter rauf und runter einen unerwartet hohen Ton einzuführen.
  • Bei [2] eingesprungene Quinte (Stimmen gehen parallel zu c+g); mögliche Korrektur: im Bass e statt c.
  • Bei [3]: Das d# muss im weiteren zum e auflösen. Wenn wir aber das Motiv aus dem ersten Takt wiederholen, beginnt dort die Melodie mit c! Mögliche Korrekturen: Motiv um eine Terz verschoben wiederholen; oder das d#" durch ein g" ersetzen.
Hier ist eine solche Korrekturversion. Die roten Noten sind die, die wegen der Kritikpunkte von vorher angepasst worden sind. Hinten habe ich einen A'-Teil angehängt, der wieder zurück zur Tonika findet. Im Takt 6 ist die Einführung einer neuen Harmonie auf den leichten Taktteil der Stridebegleitung ziemlich zweifelhaft – sie rechtfertigt sich aber durch die a-moll-Auflösung und die akkordische Begleitung im Takt 7: Hier kann man beliebig diskutieren, wie "richtig" das ist. Aber deshalb gibt's ja auch einen "verantwortlichen Komponisten": Wenn er oder sie sagt, dass das so bleibt, dann bleibt es so.
Wie's weitergeht? Ehrlich gesagt, hänge ich jetzt: Das Thema hat kaum Pausen, deshalb gibt es keine einfache Möglichkeit für eingeschobene Gegenmelodiestückchen; bei einem Satz für Bläser könnte eine ruhige Holzbläser-Mittelstimme eingeschoben werden, aber am Klavier wär' das ziemlich komisch. Ich lass es einmal dabei.

Machen wir jetzt eine harmonische Analyse von dem Stück(chen)? Nein – nichts da! Wir wollen komponieren, nicht analysieren!! Aber wozu ist dann dieses ganze Harmonielehre- und Stimmführungswissen, das ein/e Komponist/in haben muss? Ich sag es noch einmal: Muss sie oder er nicht! Wenn man es hat, hilft es einem, wie oben Stellen "umzukonstruieren" – weil sie "falsch" sind (gegen irgendeine Regel verstoßen, die man einhalten möchte), oder weil sie zu wenig interessant sind (dann kann man eben doch einmal eine Tritonus-Substitution anzuwenden versuchen).

Aber viel wichtiger ist, dass man die "richtigen" und "falschen" Harmonien und Harmoniefolgen hört – dass man die Harmoniemuster "kann" (nicht "weiß")! Und entweder kann man das sowieso ganz gut – viele Leute können es! – nämlich alle die, die Fehler "einfach so" hören können, wenn jemand anderer ein "üblich harmonisiertes" Stück spielt. Oder man muss es sich aneignen. Ich glaube (aber da bin ich mir keineswegs sicher), dass enorm viel Anhören von "klar gestrickter" Musik diese "Muster" in den Kopf kriegt. Meine Auswahl wären in erster Linie Strauß-Walzer und -Polkas (was man beim Neujahrskonzert hört), Ragtimes, Blues und Boogie, dann auch Volksmusik (wenn sie einem liegt) und wenn man unbedingt will hin und wieder am Anfang (nur zum Harmonien hören lernen!!) irgendein Gedudel von volkstümlicher Musik. Beatles-Songs gehören nicht dazu – die sind harmonisch und vor allem von der Stimmführung her viel zu kompliziert (mit Ausnahme vom Hauptteil von "When I'm 64").

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